Passion Radsport

Radsport-Blog über Erfahrungen aus dem Hobby- und Lizenzbereich

Jedermannszene

Quo vadis, Jedermannszene?

Ich habe mich nun schon länger mit dem Gedanken beschäftigt, mal über die Entwicklung in der Jedermannszene zu schreiben. Das Thema ist nicht einfach, schließlich profitieren wir ja alle von dem Boom, den sie Szene im letzten Jahrzehnt erlebt hat. Es entstanden immer mehr Rennen, meist professionell organisiert, auf abgesperrten Strecken teils quer durch Deutschlands Großstädte. Sogar Cupserien wurden ins Leben gerufen wie der German Cycling Cup oder – vor allem im Berliner Raum bekannt – der MOL Cycling Cup. Währenddessen starben viele etablierte Profirennen in Deutschland aus, vorneweg sei da die Deutschlandtour genannt, eine Folge der Dopingskandale und der daraus folgenden Rückzüge von Medien und Sponsoren.

jedermannszene: RTF SpreewaldmarathonDer Grundstein des Breitensports und Jedermannbereichs sind natürlich gemeinsame Ausfahrten und RTFs, der Gemeinschaftsgedanke und der Spaß stehen im Vordergrund. Wer sich dann aber in Rennen neben dem Spaß an der Sache auch sportlich messen möchte, bekommt es aber mit starker Konkurrenz zu tun. Nun ist es ganz natürlich, dass das Leistungsgefälle in der Jedermannszene sehr groß ist. Es haben nicht alle gleich viel Zeit oder Motivation für häufiges Training oder auch Talent, um vorne mitzufahren. Ganz zu schweigen vom Geld fürs Material oder um an jedem Rennen einer Cupserie mitzufahren und entsprechend zu punkten. Bei über 10 Rennen im GCC, die über Deutschland verstreut sind und im Schnitt 40-50€ kosten, kommt mit Anreise und Übernachtung ein stattliches Sümmchen für das geliebte Hobby zusammen. Wer den GCC gewinnen möchte, der muss (vorausgesetzt er ist auch gut genug) ordentlich Geld investieren… oder in eines der großen Jedermannteams mit entsprechendem Etat gehen.

Ein finanzkräftiges Jedermannteam, das seinen Fahrern Material, Starts und Anfahrten bezahlt und organisiert, ist meines Erachtens schon ein Widerspruch in sich, an dem aber auch die Organisatoren der Rennen nicht unschuldig sind. Beim Abschlussrennen des GCC in Münster wird inzwischen alljährlich der Deutsche Jedermannmeister gekürt, Mannschaften geben als Ziel Platzierungen in der Jedermannrangliste, die inzwischen alle Ergebnisse von Rennen (kategorisiert wie in der World-Tour) erfasst, vor. Dafür werden Fahrer verpflichtet (die Wortwahl passt), die im Lizenzbereich höher als C fahren könnten oder sogar schon bei der Tour de France am Start waren. Wechsel von Fahrern werden im Jedermannpeleton so häufig diskutiert, als ginge es um Profiteams.

Jedermannszene VelothonEs gab Zeiten, da starteten Ex-Profis aus den für sie vorgesehenen VIP-Startblöcken, außer Konkurrenz. Nun stehen sie teils im direkten Duell mit allen anderen. Dieser letzte Punkt hat mich veranlasst, diesen Artikel zu schreiben. Namen möchte ich nicht nennen, denn dann hätten die Sponsoren ja die dadurch erhoffte Aufmerksamkeit. Es geht mir auch nicht darum, bestimmt Teams oder Fahrer anzuprangern, sondern die Gesamtsituation zu schildern. Und wie schon beschrieben ist mir die positive Auswirkung des Sponsoreninteresses an der Szene auch bewusst. Mit dieser Entwicklung im Hinterkopf möchte ich umso mehr die Leistung meiner Teamkollegen loben, die im letzten Jahr zu der Teamplatzierung (11) im GCC beigetragen haben, denn sie mussten alles alleine finanzieren und organisieren.

Die Frage, die im Raum steht, ist schon etwas philosophisch: Was ist ein Jedermann/ eine Jederfrau und wo beginnt im Jedermann-Radsport dann der „Übermensch“? Ich selbst, das gebe ich zu, bin zur Zeit auch in einer Form, in der ich wohl auch unterklassige Lizenzrennen fahren könnte. Allerdings wäre ich überglücklich (ich war es schon bei meinem bisher einzigen Podestplatz in Ascheffel), wenn ich einmal ein Rennen gewinnen könnte, während andere in Jedermannrennen Siege in Serie feiern. Wäre ich in dieser Lage, würde ich vielleicht nach Höherem streben.

Eine regeltechnische Trennung der Felder ist schwierig bis unmöglich, gute Ansätze gibt es bei den Jedermannrennen, zu denen es parallel auch Lizenzrennen gibt. Somit wären zumindest sogenannte Aufstiegsverweigerer ausgesiebt. Ehemalige Elitefahrer kann man allenfalls höflich bitten, ihren sportlichen Ehrgeiz auf anderen Ebenen auszuleben, wenn sie augenscheinlich noch dazu in der Lage sind. Es spricht daher nichts gegen eine Teilnahme der Profis an sich, sie sind natürlich ein Teilnehmermagnet, die Frage ist halt, welchen Zweck sie damit verfolgen.

Das Thema ist vielschichtig und könnte noch weiter diskutiert werden. Über Doping/ Medikamentenmissbrauch in der Jedermannszene gäbe es sicherlich auch einiges zu sagen, da fehlen mir aber handfeste Hintergrundinformationen. Ich hoffe einfach, dass der Boom sich nicht irgendwann selbst zum Verhängnis wird und die Veranstalter nicht größenwahnsinnig werden. (Ein Jedermannzeitfahren über 30km für fast 100€ Startgeld brauchen wir nicht!). Vielmehr hoffe ich, dass sich der Profisport erholt und man in der Zukunft auch wieder Etappen der Deutschlandtour oder kleinerer Landesrundfahrten sehen kann. In den letzten 2 Wochen konnte man im Deutschen Fernsehen übrigens 2 Varianten sehen: Wie man es nicht machen sollte (Rund um Köln, WDR, kaum was vom Rennen, Laienberichterstattung) und wie es sein sollte (Eschborn-Frankfurt, HR, Fersehen und Livestream und ein toller Kommentar von Florian Naß).

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Jens Ole • 2. Mai 2014


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